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Goldsucher |
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GOLDSUCHER
I
Wir schürfen nach Gold. Jeden Tag steigen wir in den Berg hinunter.
Blind fast tasten wir uns in die Tiefe. Ein Labyrinth niedriger Gänge,
schmaler Durchläße, enger Steigen erwartet uns. Lange dauert es, bis
wir an den Stein kommen. Viele geben vorher auf. Wir hämmern, kratzen
und schaben in spärlichem Licht; wir mühen uns um jeden Glitzer, um
jedes Leuchten; noch das kleinste Funkeln wollen wir nach oben tragen.
Schwer beladen kehren wir am Abend zurück. Mit Stolz schauen wir auf
unseren Fund. In den Strahlen der untergehenden Sonne sehen wir: nur
taubes Gestein.
II
Was ist es, das die Menschen so treibt? Wie kommt es, daß sie der Suche
noch nicht gänzlich müde sind? Was hält sie am Laufen, am
Weiterstolpern?
Mag sein, die Unruhe hat einen Hort in ihnen gefunden. Vielleicht trieb
die Evolution diese Sehnsucht tief in ihre Gene. Oder ist sie nur die
äußere Form jener kindlichen Sehnsucht nach Einssein mit aller Natur.
Was auch immer, Leben scheint ohne
dieses Widerspiel von Handeln und Infragestellen nicht zu haben. Die
Menschen irren durch ihre Jahre. Sie wollen einen Namen haben für das,
was hinter ihrem Tun steht. Ohne dem wäre alles wertlos, Tand. Alles
Wachsen und Verändern, alles Mühen und Hasten, alles Wollen und Fühlen
bliebe vergeblich. Es ist die Frage nach dem Grund, sie ist stärker als
viele es sich eingestehen. Manche wehren sich dagegen - mit Ironie, mit
Zynismus, auch Ignoranz, ja Abscheu. Der Grund sei grundlos; außer dem
Unmittelbaren, dem offensichtlich ihnen selbst Zugehörigen könne es
nichts geben. Schon gar nicht: ein Dahinter. Oder: ein Tieferes.
Keinesfalls: ein Letztes.
Die so streiten, haben vor allen anderen die Ahnung: Auch das ist nur
eine Antwort wie schon viele vorher. Und wie schon viele vorher, wird
sie verworfen. Keine hat sich auf Dauer gehalten, egal, wie sie
lautete, egal, mit wieviel Vehemenz sie vorgebracht wurde. Sinn kann so
nicht erzwungen werden. Das scheinbar Gültige welkt wie Laub im Herbst,
wird abgeworfen, fault, dient vielleicht als Humus für neue, bald
wieder vergessene Sicherheiten. Jede Gewißheit wandelt sich mit der
Zeit in Enttäuschung. Die Menschen leben und fragen. Die Antwort aber
nicht absehbar; es bleibt nur die Unruhe im Innern.
So gilt für diese Suche: tausendfaches Fragen, Tausende von Antworten,
tausendfaches Verwerfen. Da ist kein Ankommen. Nur stetes
Unterwegssein. Die Menschen sind auf einer Brücke - alles Leben bleibt
ein Übergang.
Natürlich gibt es den Versuch des Ausweichens, es ist ein Berauschen an
den Surrogaten. Gleichen doch offene Fragen Wunden, die sich nicht
schließen. Da ist niemand gefeit vor der Versuchung, innezuhalten,
alles Brennen in der Seele zu übertönen.
Surrogate geben vor, was das Veritable nicht weiß, nicht wissen kann.
Sie erlangen Macht, weil sie Erlösung verheißen. Aber ihre Wirkung ist
nur von kurzer Dauer. Immer verlangen sie ein Mehr. Jeder Tag muß einen
neuen Superlativ bringen. Nur in steter Übersteigerung vermögen sie
sich zu behaupten. Dieser Rausch führt ins Dumpfe. Die Wahrnehmung, das
Gefühl für das Wirkliche schwindet. Am Ende ist alles Selbst ein
Surrogat - austauschbar und ohne Belang. Übriggeblieben aber das
bohrende Warum.
Mit Ausweichen ist dem Ergründen nicht zu entgehen. Auch die Flucht
fragt nach dem Grund. Die Last des Unterwegssein kann nicht abgeworfen
werden. Das sichere Behaustsein erweist sich als Trugbild. Es scheint,
das ist ein fataler Zirkel, dieses permanente Selbstvergewissern.
Dabei: Als einziger Halt, nicht zu verwerfen, bleibt nur das Suchen.
III
Wer ist nicht auf der Suche nach der Goldader.
Wände gleißenden Gelbs, funkelnder Lohn nach wirren Gängen,
berauschender Beifall von allen Seiten. Wir wähnen uns am Ziel. Gold
als Währung für Sinn. Ein Surrogat, dem schwer zu entgehen ist. - Wie
auch der Erfahrung, glücklich nur jene, die ihre Sinnsuche nicht
aufgeben, die längst eins mit ihr geworden. Nur sie entkommen dem Gold.
Es ist die Suche, die uns Goldsucher rettet.
Madeleine Heublein
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